Mit Volldampf voraus: Die Geschichte der Chronometer aus Glashütte
Seit 1845 sind Glashütter Unternehmen für den Bau präziser replica Uhren bekannt. Ab 1886 spezialisierten sie sich auf Marinechronometer, die damals als Höhepunkt der Branche galten. Diese Präzisionsinstrumente wurden auf Handelsschiffen, nautischen Expeditionen und sogar in der deutschen Kaiserflotte eingesetzt.
Im Laufe ihrer 177-jährigen Geschichte hat die Glashütter Uhrmacherei viele schillernde Erfolge erlebt – von den ersten bescheidenen Erfolgen, als Ferdinand Adolph Lange und seine Gefährten Carl-Moritz Grossmann, Julius Assmann und Adolph Schneider den Grundstein für einen neuen Industriezweig legten, darunter die Gründung der Deutschen Uhrmacherschule im Jahr 1878 als Kompetenzzentrum und Talentschmiede, bis zur Blütezeit der Taschenuhren und Präzisionspendeluhren im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Wie Phönix aus der Asche erschien der Neuanfang nach der deutschen Wiedervereinigung vor 33 Jahren, als aus einer veralteten, auf kostengünstige Massenproduktion ausgelegten Anlage einige der gefragtesten Manufakturen der Welt hervorgingen. Aufbauend auf dieser Tradition sind die Uhren heute bei edlen Juwelieren in den prominentesten Einkaufslagen wieder gefragt. Der erfolgreiche Produktionsstandort Glashütte ist weltweit für sein beispielloses Know-how und seine Expertise bekannt.
Die Herstellung von Schiffschronometern war eine seiner brillantesten Leistungen und beeinflusste alle nachfolgenden Glashütter Uhren entscheidend. Diese historische Entwicklung lässt sich von 1886 bis zum Ende der Deutschen Demokratischen Republik problemlos verfolgen – ein klarer Weg für ein Handwerk, dessen Daseinsberechtigung auf Präzision beruht und dessen Produkt bis 1913, als Signale über Radiowellen gesendet werden konnten, das einzige Mittel war, dieses extrem hohe Maß an Genauigkeit zu erreichen. Überraschend ist jedoch, dass die Massenproduktion dieser extrem genauen Uhren, die für wissenschaftliche Messungen, den Eisenbahnfahrplan und die Bestimmung des Längengrads für die Seefahrt und später für Flugzeuge und Zeppeline verwendet wurden, erst so spät erfolgte. Zu dieser Zeit waren sie das Reich seefahrender Nationen mit Kolonien in Übersee, also war dies buchstäblich Neuland für Deutschland. Das britische Königreich hatte lange die Nase vorn, John Harrison erfand 1764 die erste seetüchtige Uhr. Auch Frankreich war führend, sowohl im Bau leistungsstarker Schiffe als auch bei Präzisionschronometern.
Die Eroberung der Welt
Die deutsche Marine und die Handelsschiffflotten wurden mit der Gründung des Deutschen Reiches nach 1870/71 stark erweitert. Um weniger abhängig von ausländischen Herstellern zu werden, ordnete die deutsche Kaiserliche Admiralität die Erhöhung der Produktionskapazitäten an. Die unglaubliche Summe von 900 Mark war damals der Preis eines Marinechronometers, vorausgesetzt, es bestand die strengen Präzisionstests im Kieler Observatorium bei unterschiedlichen Temperaturen und Seebedingungen. Die Deutsche Marine-Observatorium wurde am 9. Januar 1875 in Hamburg als Einrichtung für Seegeographie, Meereskunde, Meteorologie und Nautik einschließlich Kartographie gegründet. Eine eigene Abteilung diente der Prüfung von Chronometern und Beobachtungsuhren. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden hier Marinechronometer getestet.
Zunächst entsprach es den Vorgaben der Kieler Sternwarte. In den Folgejahren wurden diese Vorschriften um weitere Kriterien wie Luftdruck, Magnetismus, Bewegungsstudien und Sonderprüfungen erweitert, um eine möglichst hohe Qualität zu erreichen. Die beispiellosen Vorgaben waren deshalb so streng, weil von der einwandfreien Funktion die präzise Navigation und das Schicksal wertvoller Schiffe und ihrer Besatzungen abhingen. Auch die Provenienz spielte eine immer größere Rolle. Beim 35. Prüfungswettbewerb im Jahr 1911 mussten alle Bestandteile der eingereichten Stücke innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches hergestellt worden sein. Bis dahin durften Ketten und Federn aus dem Ausland stammen.
Doch zurück nach Glashütte in den 1880er Jahren, als sich die Uhrenhersteller der neuen Herausforderung stellten. Die ersten Uhren entstanden dank der hocheffizienten Arbeiter- und Versorgungssysteme, die die Gründerväter unter der Leitung von Ferdinand Adolph Lange etabliert hatten, der während seiner frühen Wanderjahre auch Praktika bei einigen der bedeutendsten europäischen Chronometerhersteller absolviert hatte. Die Brüder Fridolin Stübner (1857–1912) und Paul Stübner (1860–1946), die heute als Väter des Glashütter Marinechronometers gelten, produzierten unter der Leitung von Ludwig Strasser (1853–1917) die ersten Uhren. 1886 schickte die Firma Lange die ersten beiden Modelle zum Testen nach Hamburg.
„Die tägliche Abweichung durfte nicht größer als 0,3 Sekunden sein“, betonte Reinhard Reichel, ehemaliger Leiter des Deutschen Uhrenmuseums Glashütte und überzeugter Chronometer-Fan, die Außergewöhnlichkeit dieser technischen Meisterleistung. Diese Präzision war für die damalige Zeit bahnbrechend und wurde auf den Weltausstellungen 1900 und 1904 mit Medaillen gewürdigt.
Glashütter Marinechronometer
Bei Größe, Form, Kardanaufhängung und Gehäuse wurden englische Konstruktionsmerkmale zugrunde gelegt. Auffälligster Unterschied war die gegenläufige Bewegung von Schnecke und Federhaus durch die diagonale Anordnung der Kette. Die Glashütter Modelle waren mit weiteren technischen Finessen ausgestattet, wie der Grossmannschen Chronometerfeder und dem Schwingsperrwerk oder der von Richard Lange (1845-1932) eingeführten Chronometerhemmung. In den folgenden Jahrzehnten kam es zu einigen technischen und äußerlichen Modifikationen sowie Sonderanfertigungen. Dazu zählen der Taschenchronometer, ein Chronometer mit Gradskala für Langstreckenflüge, der Torpedobootchronometer sowie Uhren, die nach der Sternzeit reguliert wurden. Historiker sprechen von folgenden Merkmalen eines „normalen“ Glashütter Marinechronometers: Das Zifferblatt hat einen Durchmesser von 100 mm, das Werk ist auf vier Pfeilern mit Federchronometerhemmung aufgebaut, es ist mit einem Ketten-Schnecke-Mechanismus und einem Auf- und Ab-Uhrwerk zur Anzeige der Gangreserve ausgestattet, der Sekundenzeiger läuft in Halbsekundenschritten und das gesamte Uhrwerk mit seiner kardanischen Aufhängung steckt in einem Mahagonigehäuse mit einer Kantenlänge von 18,5 Zentimetern.
„Diese seltenen Modelle sind heute bei Sammlern heiß begehrt“, sagt Reichel und zählt die Namen bedeutender Chronometerhersteller und Zeitmessspezialisten auf, die den meisten vielleicht nicht geläufig sind. Er hebt das Wirken Fridolin Stübners hervor, der ab 1890 bei Lange arbeitete und die 1897 gegründete Marinechronometerabteilung leitete. Diesem Meister der Präzision war keine Uhr zu kompliziert. Er wurde als wahrer Künstler beschrieben.
Ebenso legendär ist Paul Thielemann (1880-1955). Nach seiner Lehrzeit bei Strasser & Rohde trat er 1905 in die Chronometerabteilung bei Lange ein und sorgte jahrzehntelang für deren hohe Qualität. Gleiches gilt für seinen Sohn Otto Thielemann (1910-1980), der im Staatsbetrieb Glashütter Uhrenbetriebe (VEB GUB) die Leitung der Marinechronometerabteilung übernahm. Nach einer Zeit bei Julius Assmann und Ernst Kasiske machte sich Gustav Gerstenberger (1886-1983) als unabhängiger Uhrmacher selbständig und verwendete vorwiegend Rohwerke von Paul Stübner. Mit 80 Jahren regulierte er Schiffschronometer für die GUB, deren wichtigstes Exportgut dieser Uhrentyp war. Er wurde in fast 30 Länder geliefert, darunter die frühen Chronometerzentren England und Frankreich, aber auch in Länder wie Brasilien, Chile, Nordkorea und Portugal, die auf die Präzision aus Glashütte vertrauten. Der traditionelle Chronometer Kaliber 100 wurde bis 1978 produziert, während robustere und genauere Quarzchronometer ab 1974 produziert wurden.
Von Hamburg nach Glashütte Wenn von Chronometern und Glashütte die Rede ist, muss auch der Name Wempe fallen. 1938 übernahm Herbert Wempe (1890-1963) die 1905 gegründeten Hamburger Chronometerwerke, die Schiffsuhren herstellten. In Zusammenarbeit mit Otto Lange (1878-1971) plante er den Bau eines Ausbildungszentrums für junge Uhrmacher. Als möglicher Standort wurde die örtliche Sternwarte diskutiert. Seit 1910 lieferte es den Uhrmachern in Glashütte die genaue Zeit. Doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verzögerte die Umsetzung ihres Plans.
Ab 1942 produzierten die Chronometerhersteller Wempe in Hamburg und A. Lange & Söhne in Glashütte den als „Einheitschronometer“ bekannten Marinechronometer für die Kriegsmarine, der später in sowjetischen Fabriken in Moskau produziert wurde. Quellen nennen Produktionszahlen von insgesamt rund 58.000 Stück, womit ihr eingebautes Drei-Säulen-Uhrwerk das am häufigsten gebaute Schiffschronometerwerk ist.
2005 erwarb Herbert Wempes Urenkelin Kim-Eva Wempe die alte Sternwarte und baute neben der unabhängigen Chronometerprüfstelle zwei Produktionsstätten auf: Wempe Chronometerwerke mit Manufakturwerken und Wempe Zeitmeister mit modifizierten Schweizer Basiskalibern, 2020 kam die Kollektion Iron Walker hinzu. Selbstverständlich tragen diese Uhren Glashütter Chronometerzertifikate. Gemeinsam mit den Thüringer und Sächsischen Landesämtern für Eichwesen ist die Sternwarte als Kalibrierlabor für Chronometerprüfungen durch das Deutsche Nationale Metrologieamt zertifiziert. Die Prüfergebnisse und zulässigen Gangabweichungen entsprechen exakt den Standards des Schweizer Prüfinstituts COSC. Während der 15-tägigen Gangprüfung werden die Uhren bei unterschiedlicher Luftfeuchtigkeit und Temperatur (8, 23 und 38 Grad Celsius) getestet. Nur Uhren mit Gangergebnissen zwischen -4 und +6 Sekunden pro Tag erhalten ein Zertifikat. Die neu eingeführte DIN 8319 verlangt, dass das Uhrwerk sekundengenau regulierbar sein muss und die Prüfung im Gehäuse und nicht im Gehäuse selbst durchführen muss. Damit war die erste offizielle Prüfstelle für Chronometer in Deutschland seit fast 40 Jahren geschaffen.
Heute werden nicht mehr alle Uhren aus Glashütte mit einem Chronometerzertifikat geliefert. Doch wie die hier abgebildeten Uhren zeigen, ist das historische Erbe des Marinechronometers und der dazugehörigen Beobachtungsuhr noch immer eine wichtige Inspirationsquelle für die modernen Uhren aus Glashütte.